Vor langen, langen Jahren, als es noch keine Telegraphen und Eisenbahnen, keine Automobile und Luftschiffe gab, lebten im Riesewohld an der Grenze von Dithmarschen vier kleine Zwerge, „die Unterirdischen“ genannt. Sie waren nicht größer als ein guter Mannsschuh zu sein pflegt und hatten kleine runzlige, aber gutmütige Gesichter. Sie trugen alle dieselben Zipfelmützen, die sie immer neu aus Blumenblättern anfertigten, und ihre Beinkleider und Röcke waren kunstvoll aus Baumrinde gemacht. Sie waren stets sauber und ordentlich im äußeren Aussehen. Sie hielten etwas auf sich, und man konnte ihnen auch nichts Unrechtes in ihrem Lebenswandel nachsagen, obwohl in der Gegend das Gerücht ging, daß sie mit der Schwarzkunst und dem Teufel im Bunde wären. Es hieß auch, daß sie über große Reichtümer verfügten, weil ihnen das Innere der Erde gehören sollte.
Ihre Lebensweise war aber nicht dementsprechend. Sie waren im Gegenteil sehr genügsam und sättigten sich von den Beeren des Waldes, von Mohn- und Blumensamen, im Winter von Eicheln, Hasel- und anderen Waldnüssen. Als Wohnung diente ihnen das am Rande des Riesewohld gelegene Hünengrab, das ihre Eltern als Unterschlupf erkoren hatten, ehe sie geboren wurden.
Aus welcher Gegend die Vorfahren der Zwerge gekommen waren, ob aus Liliput oder aus Kölln, wo ehemals, wie bekannt, das Geschlecht der Heinzelmännchen vorwiegend heimisch war, wußte niemand zu sagen. Ihre Eltern, die ihnen darüber Auskunft hätten geben können, waren nach kurzer Laufbahn in jungen Jahren gestorben. Der Vater war in einem unglücklich geführten Kampf mit einem Raben umgekommen, und die Mutter beim Baden von einem Blutegel, der sich an ihrem Fuß festgesogen hatte, in die Tiefe gezogen worden.
Wahrscheinlich ist das Geschlecht der Unterirdischen, so müssen wir ergänzen, doch aus Liliput gekommen und zwar lange bevor Amerika durch Kolumbus entdeckt wurde. Sie werden zur Zeit, als die Wikinger den Seeweg nach der Neuen Welt fanden, was um die Zeit der Geburt Christi geschehen sein soll, als blinde Passagiere auf den verschiedenen Wikingerfahrten nach Europa herüber gebracht worden sein, worauf sie einige Menschenalter ruhig und friedfertig in unseren Gegenden lebten, ohne den Einwohnern zu schaden oder ihnen im Wege zu sein.
Das gilt auch von den vier Zwergen, die in dem Hünengrab am Riesewohld das Licht der Welt erblickt hatten und im frühen Alter Waisen geworden waren. Ganz auf sich selbst angewiesen und fast ohne Belehrung für den Kampf ums Dasein ausgerüstet, blickten sie sich mit neugierigen Kinderaugen in ihrer Umgebung um. Aber mit dem feinen Instinkt begabt, der allen Alleinstehenden und Einsamen eigen ist, mieden sie fast ängstlich jede Berührung mit der Welt, obwohl sie im Innern ein großes Verlangen hatten, diese Menschenwelt kennenzulernen. Sie wuchs auch mit jedem Jahr und war schließlich nicht mehr zu bezähmen. Da beschlossen sie, es zunächst einmal mit nächtlichen Streifzügen zu versuchen. Sie waren aber, wie man sich denken kann, nicht sehr ersprießlich, da bei nachtschlafender Zeit die Welt kein allzu interessantes Gesicht hat, wenigstens nicht in Dörfern und kleinen Städten. Sie sahen denn auch nicht viel mehr als den Nachtwächter, der sich vor Dieben und betrunkenen Menschen fürchtete, und die knurrenden Pudel, die in ihren Hundehäusern an der Kette lagen und alles bekläfften, was nicht zum Hause gehörte. Da ließen sie Dorf Dorf und Menschen Menschen sein und ergingen sich nur noch im mächtigen Riesewohld, der sozusagen ihre engere Heimat war. Sie liebten diesen Wald über alles und kannten ihn in seiner ganzen Ausdehnung. Zurück
Als Wohnung hatten sie das von den Eltern überkommene Hügelgrab behalten. Es war einmal von Füchsen oder Dachsen bewohnt gewesen, die es sehr gemütlich mit Moosen und trockenem Laub ausgepolstert hatten. Die Eltern waren auch bemüht gewesen, ihrerseits zur besseren Einrichtung und Ausgestaltung des Wohnheims beizutragen. Und sie selbst wußten zur Verschönerung Efeu und Mistel an den Wänden zu ziehen und das Mobiliar durch bequeme Stühle aus Binsen und Hederig zu vervollständigen. Auch hatte einer der Brüder in faulendem Holz eine Art Beleuchtung für den Winter konstruiert. Im Herbst wußten sie sich überhaupt mit allem zu versehen und versorgen, was für den kalten dunklen Winter nottat. Was sie zum Lebensunterhalt bedurften, war allerdings nicht viel, da sie sehr anspruchslos und genügsam waren. Mit Eicheln und Haselnüssen verknapperten sie die langen dunklen Tage, indem sie kurzweilige Geschichten immer wieder auffrischten, die sie in ihren Kämpfen mit Maulwürfen und Wasserratten zu bestehen hatten. Sie machten Jagd auf diese Tiere, weil ihre Pelze ihnen als Winterkleidung diente.
An besonderen Festtagen, den Namenstagen der Brüder oder den Sonnwendfesten leisteten sie sich Honigwaben, die aller Lieblingspeise war und auch nicht ohne hitzigen Kampf gewonnen werden konnten. Die heimtückischen Bienen verfolgten sie oft Tag und Nacht, wenn sie ihr Nest ausgenommen hatten. Das geschah im Hochsommer, wenn alles grünte und blühte.
Im Sommer gestalteten sie ihr Leben überhaupt ungleich freundlicher und fröhlicher. Dann zogen sie als Sommerfrischler aus dem muffigen Hünengrab unter die Dächer der großen roten Fliegenschwämme, die extra für sie zu wachsen schienen. Zwar waren sie in diesen luftigen Wohnungen mehr als in ihrer Feste den vielen sie bedrohenden Feinden ausgesetzt: den Ratten, Krähen, Eulen und allem derartigen Waldgetier. Aber sie hielten sich nahe zusammen und waren auch meist bis an die Zähne bewaffnet. Dazu hatten sie ihre gut zugerittenen Eichhörnchen als Reitpferde bei der Hand, auf deren Rücken sie jeder Gefahr entfliehen konnten, da die Eichhörnchen fast ungesehen jeden Baumstamm zu erreichen vermochten. Ja, es war ein lustiges, ungebundenes Leben, das sie Zwerge zur Sommerzeit führten. Dabei war des ganze unermessliche Waldrevier ihr Eigentum, wo sie alle Beerenplätze nach der Jahreszeit kannten. Zuerst kamen die Erdbeeren. dann die Bickbeeren, darauf die Himbeeren und zuletzt die Brombeeren. Aus den Krons- oder Preißelbeeren machten sie sich nicht viel. Sie waren richtiggehende Süß- und Leckermäuler.
Die Zwerge hätten also alle Ursache gehabt, namentlich im Sommer, mit ihrem Dasein zufrieden zu sein. Aber wie in den Menschen wohnten in den Zwergen zwei Seeelen in ihrer Brust. Vornehmlich Thomas, der Jüngste der Zwergenbrüder, hatte noch immer den heißen Drang in die Welt und nach den Menschen. Als er nun eines Tages ein vom Winde getriebenes Plakat im Walde fand, das die Einladung zu einem im nächsten Dorf stattfindenden Schützenfest mit nachfolgendem Ball enthielt, da war kein Halten mehr. Der besonnene ältere Zwergenbruder hielt darauf eine Ansprache an die Vier und sagte unter anderm: Thomas wäre gewiß am schlimmsten daran von ihnen allen, da er die Elterm kaum gekannt hätte und ohne ihre Liebe und Beratung aufgewachsen wäre. Sein Ungestüm wäre daher begreiflich, und er, der Älteste im Rat der Brüder, meine daher, daß man ihm den Willen tun und die Welt zeigen müßte. Er bäte aber die Brüder, ihre wohlerwogenen Stimmen zu dem Unternehmen abgeben zu wollen. Es könnte ja für sie alle mißlingen?! Gefahrvoll wäre es auf jeden Fall, aus ihrem friedlichen Idyll in die Herberge der Menschen zu gehen, die, wie bekannt, auf Streit und blutige Schlägereien erpicht wären. Zwei Brüder waren gegen den Ritt, zwei dafür, weil Thomas als Anstifter den Ausschlag gab. Zurück
Die Vorbereitungen zu der Weltreise nahmen bei den Naturmenschen keine lange Zeit in Anspruch. Sie holten ihre Sonntagskleider aus der Graburne, nachdem sie sich im Morgentau gebadet und an der aufgehenden Sonne getrocknet hatten. Dann bestiegen sie ihre Eichhörnchen und jagten im Galopp davon, sodaß sie fast als erste auf dem Festplatz erschienen. Das Erstaunen und der Jubel der Schützengenossenschaft war groß, als die vier Reiter anhielten und der Zwergälteste sich dem Schützenkönig mit vielen Bücklingen näherte, indem er sich und seine Brüder vorstellte und um die Erlaubnis bat, als Zuschauer an ihrem Feste teilnehmen zu dürfen. Das wurde mit großer Bereitwilligkeit getattet. Die Teilnehmerkarten verabfolgte der Kassenführer. Sie verpflichteten auch zum Festmahl. Darauf aber erwiderte der Zwergälteste, daß sie an eine andere Lebensweise gewöhnt wären. Die hohe Festgenossenschaft möge ihnen daher gestatten, im Wirtshaus zum „Roten Heller“ ihr eigenes Diner zu bestellen und für sich einzunehmen. Das wurde zur Erleichterung der Schützengesellschaft gern vergönnt, die sich schon zum Essen und namentlich zum Trinken durch die wunderlichen Gäste bedrängt gefühlt hatte. So bestiegen die vier Zwerge nach höflichem Abschied wieder ihre Eichhörnchen und ritten in die Stadt zurück, wo sie am „Roten Heller“ abstiegen und den Wirt zu sprechen wünschten. Sie trugen ihm vor, als er erschienen war, ihnen ein Festessen nach ihrer Art bereiten zu wollen, weil sie andere Gewohnheiten als die Menschen hätten. Während der Wirt mit dem Zwergältesten verhandelte, waren seine kleinen Töchter Ancke und Telse erschienen, welche die kleinen possierlichen Kerlchen von Anfang an mit Interesse beobachtet hatten. Das war doch etwas anderes als die toten, leblosen Puppen, mit denen sie tagein, tagaus spielten. Diese kleinen Männer waren so flink und beweglich, wie sie weit und breit noch nichts gesehen hatten. Und als der Vater keine große Meinung von der Zubereitung des Zwergessens zeigte, zupfte Ancke ihm am Ärmel und flüsterte ihm zu, sie könnten ja in ihrer Puppenküche das Essen für die kleinen Gäste bereiten. Sie hätten ohnehin von der Mutter die Erlaubnis zum Zukochen am heutigen Schützenfest erhalten. Es wäre alles dazu vorbereitet und die Festtafel bereits im Spielzimmer gedeckt. Es brauchten nur ein paar Gedecke mehr aufgelegt zu werden, weil mit so vielen Gästen ja nicht gerechnet wäre. Das Festessen deckte sich beinahe mit den Vorschlägen des Zwergältesten. Die Stichlinge als Festbraten wären schon gesten gefangen und die ersten Zuckererbsenschoten aus dem Garten gepflückt. Auch der Schokoladenpudding mit Cremsauce zum Nachtisch wäre schon kalt gestellt. Und zum Trinken hätte die Mutter versprochen, von ihrem süßesten und klarsten Most zu spenden. Der Vater war mit den Vorschlägen seiner Tochter wohl zufrieden, weil es ihn einer etwas lächerlichen Aufgabe enthob. Er warf nur den Reitpferden noch schnell eine Handvoll Nüsse zu, womit sie auf der vor dem Wirtshause stehenden hohen Linde verschwanden und dort ihr festliches Mittagsmahl hielten. Die Zwerge aber wurden von den Wirtstöchern in das Spielzimmer geleitet, das ihnen ganz ausnehmend gefiel. Sie betrachteten alles auf das genaueste: die Möbel, die für sie gemacht schienen, die Märchenbilder an den Wänden, den großen Ofen und vor allem die Puppenküche, an deren Herd Ancke zu hantieren begann, um das schon vorbereitete Mahl anzurichten. Es dauerte denn auch nicht lang mehr, bis sie die Suppenterrine auf den Tisch stellte. Sie enthielt legierte Lindenblütensuppe, die herrlich duftete. Telse gab die Suppe auf und reichte jedem Gast seinen Teller. Thomas, das Nesthäkchen der Zwerge, hatte seinen Platz neben Telse gewählt, während für Ancke der Platz neben Hans, dem Ältesten, frei geblieben war. Als sie dann nach der Suppe mit den gebratenen Stichlingen und den gebutterten Zuckererbsenschoten erschien, nahm sie neben Hans Platz und bot die Speisen mit vieler Grazie an. Zurück
Die Zwerge ließen es sich vortrefflich schmecken. Sie meinten noch nie so gut gespeist zu haben und sprachen auch dem Most gehörig zu, der in den kleinen goldgeränderten Kristall-Puppengläsern wie wirklicher edler Wein funkelte. Der Nachtisch, der anfangs als gegen jede Zwergengewohnheit zurückgewiesen war, wurde von Telse, die gerade Schokoladenpudding heiß liebte, so allerliebst angepriesen, daß er bis zum letzten Rest und dem letzten Tropfen Cremsauce ebenso vertilgt wurde, als alles andere. Die Zwerge hatten mehr als genug getan. Sie waren ja so bescheiden und mäßig im ihren Ansprüchen. Aber sie liebten alles Schöne und konnten sich nicht sattsehen an dem feinen weißen Tischtuch, dem zierlichen Puppenservice, an den kleinen silbernen Löffeln und Gabeln, den hübschen Gläsern und vor allen Dingen an den kleinen Mädchen selbst. Besonders Thomas war ganz vernarrt in Telse. Er streichelte immer wieder ihre roten Backen und ließ ihre blonden Zöpfe durch seine Finger gleiten. Hans war in gleicher Weise von Ancke eingenommen, und was sein Zwergenmund an schönen Worten zu formen wußte, das sprach er in Dankes- und Lobeshymnen auf die Vortrefflichkeit des Mahles und die Liebenswürdigkeit der Gastgeberinnen aus.
Ancke und Telse hatten jetzt Lust zu tanzen und überredeten ihre Gäste, mit in den Garten zu kommen, wo sie die Musik aus dem Tanzsaal hörten. Der Rasen war auch gerade so eben wie das Parkett des Tanzsaales. Man hätte aber auf dem Rasen das voraus, daß man nicht, wie im Saal, geschupst und gestoßen wurde.
Die Zwerge waren einverstanden, und obwohl sie nie getanzt hatten, zeigten sie sich als gelehrige Schüler. Sie wußten sich den Schritten der Mädchen anzupassen und fanden selbst Vergnügen an dem Drehen und Wenden im Kreise. Als es zu dunkeln gegann, meinte der vernünftige Hans, daß es nun der Freude für sie alle genug wäre. Sie mußten an die Heimkehr denken, weil sie morgen früh aufstehen wollten, damit ihnen niemand beim Beerenlesen zuvor käme, um ihre heutige Zeche zu bezahlen. Da meinte Ancke, das sollten sie nur bewenden lassen. Die Zeche wäre ihre Sache, denn alles was sie gegessen hätten, stammte von ihnen. Die Stichling hätten sie eigenhändig gefangen und die Zuckererbsenschoten aus ihrem Garten gepflückt. Ihr Vater hätte also keinerlei Unkosten und Mühe von der Bewirtung gehabt, da sie auch weder Kellner noch Kellnerin in Anspruch genommen hätten. Wenn sie aber Mutter für den Most schadlos halten wollten, kämen sie einmal zum Erdbeerpflücken in den Wald. So wurde denn vor dem baldigen Aufbruch der Zwerge beschlossen, daß Ancke und Telse gleich morgen in aller Frühe herauskommen sollten, weil gerade die schönste Erdbeeerenzeit war. Und das geschah denn auch. Ancke und Telse kamen mit ihren Puppenwagen und etlichen Körben. Alles wurde voll, so daß die Magd, die Ancke und Telse abholte, sich nicht genug wundern konnte. Sie meinte, nie so viele Beeren gesehen zu haben und die Mutter lobte zu Hause die Größe und köstliche Reife der Beeren. Zurück
Die Freundschaft der Wirtsleute vom „Roten Heller“ mit den Unterirdischen wurde mit der Zeit sprichwörtlich im Dorf, zumal die Wirtsleute zusehends wohlhabend wurden. Man munkelte, daß die Unterirdischen ihnen Gold und Silber zusteckten, über das sie aus dem Innern der Erde verfügen sollten. Das war aber nur leeres Geschwätz, die Unterirdischen halfen auf ganz natürlichem Wege, wie sie das immer getan haben. Sie verstanden sich auf die Vorteile, die aus Feld und Wald zu ziehen sind, und gaben den Wirtsleuten davon Anleitung, wie nicht minder, wachsam, nüchtern, arbeitsam und mäßig zu sein.
Auch als Ancke und Telse erwachsen waren und selbst Frauen und Mütter wurden, blieben sie den unterirdischen Freunden treu, die immer älter und kleiner wurden. Sie schrumpften ein wie Pilze, meinte Telse einmal, als sie mit Ancke am Hünengrab gewesen. Das war am Ostersonntag. Als sie um Pfingsten wiederkamen, trafen sie nur Thomas bitterlich weinend an. Er erzählte den Schwestern, daß die Brüder nacheinander in einer Woche gestorben wären. Sie hätten wie welke Blätter den Kopf geneigt und wären verschieden. Er hätte einige Mühe gehabt, die erstarrten Körper alle in eine Urne zu betten, wie es ihr Wunsch gewesen. Da er aber wohlbedachtsam die größte der vorhandenen Urnen gewählt hätte, wäre nun auch noch Platz für ihn neben den toten Brüdern.
Ancke und Telse waren gerührt von der brüderlichen Liebe und versprachen Thomas, jedes Jahr zu Ostern oder Pfingsten nach dem Hünengrab zu kommen und die Zwergenurne mit Blumen zu schmücken. Das haben sie auch gehalten und nicht nur bis ans Lebensende. Auch ihre Kinder und Kindeskinder haben noch den Unterirdichen die Treue gehalten, was ihnen weiter wohl bekommen ist.
Das aber ist nun auch schon so lange her, daß es als Sage erzählt wird. Und auch der Riesewohld im Dithmarscher Land, wo diese letzten Unterirdischen gewohnt haben, ist selbst zur altersgrauen Sage geworden. Es ist sonst auch rein nichts von ihm übrig geblieben. Und in der Urne, die einst die Körper der vier Zwerge barg, ist zuletzt auch nichts mehr zu sehen gewesen als ein bißchen Spinnweb. Das haben die Enkelkinder von Ancke und Telse erzählt, und die müssen es ja wissen, weil sie die allerletzten waren, die in Beziehung zu den Unterirdischen standen.
von Helene Höhnk, Marne Zurück
Alle dree Johr hebbt de Frunslüüd een grot Fest in Nordhastedt. An letzten oder vörletzten Sünndag vör Jehanni is dat fastleggt. De Fruns hebbt dat Regeer´n.
So sünd de Statuten:
Veer Schaffer mit süm Fruns, de Schafferinnen sünd de Anföhrer vun dat Fest. Se wählt sick een Tapper, de för de Brannwienkanns tostännig is. Schaffer kunn blots warr´n, de een egen Huus harr un dat Fest tomin´st eenmol mitfiert harr. To´t Fest toloten worr´n: All de Nordhastedter, over se mussen verheirodt ween!
Ut Wester- un Osterwohld kunnen de Inwohner ok komen, stunnen over nie mit op de List, de vörher all umgoh´n weer. De Utwärtigen mussen an de Kass Intritt betohl´n. Dat Amt vun de Schafferslüüd gung in´t Dörp vun Huus to Huus no ole Regeln, so as fröher de Buurnstock umgung.
In ole Drachten weer´n de Schafferslüüd kleed. To´t Fest keem de Musikkapell un se worr´n affholt no dat Festlokol. Veel Minschen weer´n dor op de Been, ok in Dracht. Nu gung de Umtog dör dat ganze Dörp, wat smuck mokt weer mit veel Grööns un all de Flaggen. – So warr´t dat to jedeen Fest hool´n.
Vör den Tog dregt se dat Wappen un een groten Pantüffel. De Tüffel hangt loter in den Sool ünner´n Böön bet Klock twölf. So lang hebbt de Frunslüüd dat Seggen. Se fellert de Mannslüüd to Danz op un sünd recht fliedig togangen.
In de Pausen givt vun de Schaffers Brunbeer un Kööm, all´ns umsunst för de Festgäst. Is no´t Gelag noch Geld in de Kass, warr´t an Lüüd geven, de dat bruken könt. – Beten hebbt sick de olen Regeln ännert, so warr´t dat Verheirodtween nie mehr so streng in unse Tied nohm.
De Hastedter Fruns hebbt ehr Fest, een recht vergnögt Fest, wat dat sunst in keeneen Dörp givt. Wosück is dat in de Gangen komen? Mutt doch een Grund hebb´n!
As no Allerhillgen in dat Johr 1648 de Klocken lüden un den Freden verkünnen, weer dat för de Minschen meist nie to glöven. No dörtig Johr Krieg schull nu Freden ween? De Krieg to Enn? Over wo seeg dat ut in uns Land? De Suldoten, de Söldner wussen nie wohin.Wovun schull´n se leven? Se weer´n dat wenn´t worr´n in all de Johren, sick to nehmen wat se wullen, lehrt harr´n se blots dat Kriegshandwark. Su´n wille Horden strömern dör de Dörper un räuvern, schuun sick vör een Doodslag ok nie torüch, so as se dat ünner de Hannen keem. In den riesigen Rieswohld harr sick een Bann fastsett. Bi Quellental hüsen se in een grote Höhl, un keeneen kunn se wat anhebben in süm Eerlock.
Dat weer´n dän´sche un holsteen´sche Söldner, de ümmer noch meenen, dat Räuvern dat däglig Brood un doröver weg all´ns op lichte Ort un Wies to kriegen weer. – In Düstern full´n se över de Dörper her, setten de Lüüd in Angst un Schrecken, stool´n wat se bruken kunnen. In Nordhastedt slepen se den rieken un angeseh´n Buurn Claas Carstens weg un sparr´n em bi sick in´t Lock. Twee vun sien Knech´en deen se Gewalt an, trakteer´n se mit Treed un Släg. An anner´n Dag leten se een weller lopen. He schull Lösgeld för sien Buurn hol´n. He brocht dat Geld, liekers leten de Banditen Claas Carstens nie frie. Zurück
Een vun de Knech´en kreeg dat torecht un he kunn weglopen. He vertell de Hastedter, dat de Räuvers ünnerwegens weer´n no Hanerau to, blots een poor Oppassers harr´n se dorloten. Peter Jessen weer een groten, breden, starken Mann mit Kraft un een anslägschen Kopp. He worr de Föhrer vun de Hastedter. Se sleken no de Höhl. Mit Biel hau´n se de Gefängnisdöör open un hol´n Claas Carstens ´rut. Denn rökern se dat Lock ut, brennen dee dat lichterloh!
De rugen Gesell´n keemen torüch. De Tog harr sick lohnt un se wull´n in de Schankwirtschaft in Hogenhain an den Weg no Alversdörp sick gehörig wat dör de Kehl jogen, denn de Kröger weer jüst so´n Halunk as se un mokt dat Spill mit. He kofft vun dat Räuvergod wat aff un levt ganz god dorvun.
Se weer´n all an´t Gröhl´n, dor worr de Döör opreten un een vun de Wachlüüd stört ´rin un vertell. De hitte Wut steeg den Hauptmann to Kopp. De Supp weer noch nie eten! De ganze Horde trockt nu aff no Hastedt to.
De Buurn harr´n dormit rekt! Mit Biel´n, Messen un Leen (Sensen) setten se sick to Wehr, vörut Peter Jessen, de nie bang weer. Wat schullen se utrichten gegen dat wille Köppel? Torüch mussen se wieken! De Räuvers weer´n in´t Dörp! – Steeken een Jungen dol! – All wussen se, dat gung op´t Leven un Dood!
Nu weer dat de Tied, wo de Frunslüüd to Obendbrot den hitten Grüttputt op´t Füür harr´n, nie blot de Grütt, ok grote Ketels mit koken Woter. Wenn de Füürherd glönig bött weer, muss de Hitten ok brukt warr´n för anner Putt un Pann.
Peter Jessen stunn vör sien Huus un wuss sick nie mehr to wehr´n. He seeg den Räuverhauptmann mit sien blödig Swert op sick tokomen. Woher schull he noch de Kraft nehmen? Vun´t Kökenfinster ut harr sien Frau Maria vull Bangen dat anseh´n. De Noot vun ehr´n Mann!
Ohn veel Nodenken reet se den Gropen mit Grütt vun Herd un sleuder den Räuver den kokenhitten Brie över´n Kopp, in´t Gesicht, in de Ogen! De hul op vör Wehdoog un wülter sick an de Grund. Peter Jessen sloog em dat Genick aff.
De anner´n Fruns harr´n dat mit anseh´n. All lepen se no den Briegropen un moken dat no. – Vertellt worr, de Öllst weer över tachendig un de Jüngst jüst söbentein un droog hoch wat ünner de Schört. De Mannslüüd foten nieden Moot, as de Fruns süm to Hölp kemen.
De Hauptmann weer doot, de anner´n harr´n keen Föhrer mehr un flüch´en no de Schankwirtschaft. – De Hastedter achterran mit Brandfackeln! Se moken een Krink um den Krog un smeten den Brand no´t Dack hoch. Dat brenn as Höll´nfüür! All, de nie versmoorn wullen un no buten drängen, worr´n bunnen un bi de Katharinen-Kark an de hoogen Bööm opknütt.
De Paster keem dorto un sprook vun Gott´s Wunner. – Een reep: „Ne, uns Frunslüüd hebbt uns holpen! Dat is wohr, uns Frunslüüd weer´n dat!“ Claas Carstens tree no vörn, heel sien Geldpoos hoch un schall seggt hebben: „Uns Fruns to Ehr wüllt wi een Fest fiern. Dat schall dat Frunsbeerfest ween. Jedeen stift een Doler dorto.“ So sünd de Nordhastedter Fruns to süm Fest komen! De Räuverkuul is noch to finnen bi Quellental in den Rieswohld.
Opschreven vun Anne-Marga Sprick, Mai 2004 Zurück
1648, am Ende des 30jährigen Krieges, wurde auch in Dithmarschen die Friedensglocken geläutet. In dulci jubilo hieß es, doch wenig Grund zur Freude hatten die Nordhastedter, denn sie trugen schwer an den Folgelasten des Krieges.
Verkommen, ohne Sold und kriegsführenden Herren, trieb sich ein Haufen entlassener Landsknechte in dem riesigen Wald, dem Riesewohld, umher, der bis nahe an das Dorf reichte. Beim Quellenthal hatten sie ihre Höhle, und niemand konnte ihnen etwas anhaben. Kriegserfahren und bewaffnet – so waren sie den Bauern Nordhastedt’s überlegen. Ihr Hauptmann hieß Peter Baas, ein Hauptmann, der ehemals bei den Lauenburgischen gedient hatte, und sein Gefolge waren dänische, hansische und holsteinische Söldner.
Dieser wilde Haufen wurde zum Schrecken der Umgebung. Reisende, Wagenzüge, Einzelgehöfte und ganze Dörfer wurden überfallen und ausgraubt.
Eines Nachts fielen sie, wie schon manches Mal zuvor, in Nordhastedt ein, raubten und töteten, wer ihnen Widerstand leistete. Sie entführten den reichen und angesehen Bauern Klaus Carstens, dessen Vorfahren zu den Regenten Dithmarschens gehört hatten, als Geisel in die Höhle. Zwei seiner Knechte nahmen sie mit. Am anderen Abend schickten sie einen zurück mit der Forderung nach Lösegeld. Die Nordhastedter trafen sich bei der Kirche und hielten Rat, doch wußten sie kein Mittel, den Räubern beizukommen. Schließlich sammelten sie das verlangte Lösegeld und schickten den Knecht damit zurück. Doch Klaus Carstens kam nicht frei.
Wenige Tage später konnten die beiden Knechte entlaufen und erreichten gegen Morgen das Dorf. Sie brachten die Kunde, daß die Söldner zu einem Raubzug nach Hanerau unterwegs seien und bei der Höhle nur eine kleine Gruppe als Wache läge. Das gab den Nordhastedtern Mut. Angeführt von Peter Jessen, einem tatkräftigen Mann, zogen sie in den Riesewohld, schlichen sich an die Räuberhöhle und verjagten die zurückgebliebenen Söldner, die in den Wald flüchteten. Sie befreiten Klaus Carstens und warfen brennende Pechfackeln in die Höhle, in der es bald lichterloh brannte. Wie die vom Beutezug zurückkommenden Söldner, schon gewarnt von ihren Kumpanen, die Zerstörung sahen, packten sie ihre Waffen und zogen mit Gebrüll durch den Wald nach Nordhastedt. Zurück
Die Bauern hatten sich vor ihrem Dorf aufgestellt und manchem von ihnen mag angst und bange geworden sein. Doch Peter Jessen, der als erster dem Feind entgegentrat, mag ihnen ein mutiges Beispiel gewesen sein. Mit Äxten, Sensen und Hellebarden droschen sie auf die Landsknechte ein, die alles andere als solchen Widerstand erwartet hatten.
Doch so tapfer sich die Nordhastedter auch schlugen, die Söldner waren ihnen über, und Schritt um Schritt wurden sie zum Dorf zurückgedrängt. Es war um die Abendbrotzeit, und in allen Häusern stand die Schüssel mit Grützbrei auf dem Feuer. Der Söldnerhauptmann wollte jetzt den Durchbruch erzwingen, und dort wo Peter Jessen stand die Bresche schlagen.
Vom Küchenfenster aus hatte Peter Jessens Frau dem ungleichen Kampf voller Angst und Schrecken zugesehen. Als ihr Mann zu wanken begann, riß sie ohne Nachdenken den Grütztopf vom Herd, rannte aus der Tür und schleuderte dem Söldnerhauptmann den kochenden Brei ins Gesicht. Beblendet und heulend vor Schmerz krümmte er sich am Boden und konnte von Peter Jessen erschlagen werden.
Als die anderen Frauen sahen, daß Maria Jessen mutig in den Kampf eingriff, folgten sie ihrem Beispiel. Wie Löwinnen stürzten sie sich in das Geschehen, eine jede den Grütztopf unterm Arm und ehe die Söldner sich’s versahen, flog ihnen der heiße Brei ins Gesicht, daß ihnen Hören und Sehen verging. Die Nordhastedter bekamen neuen Mut und die Söldner, denen der Anführer fehlte, wichen zurück. Sie begannen schließlich zu fliehen, und die meisten wurden dabei erschlagen.
Den Frauen zu Ehren, die Leben und Gut gerettet hatten, wurde ein großes Fest gefeiert, bei dem die Frauen Männerrecht bekamen. Sie durften sich Bier einschenken, soviel sie wollten, tanzen, mit wem sie wollten und regieren bis Mitternacht.
Das Frunsbeerfest wird seither alle drei Jahre am Sonntag nach Johanni gefeiert, bis auf den heutigen Tag.
nach Waldemar Krause, Alte Geschichten aus Dithmarschen (gekürzt und überarbeitet) Zurück
De Fieffinger-Linn´ in Rieswohld
Merr´n in de gröne Lung´n vun Dithmarschen in den Rieswohld steiht een groten Linnenboom, urold, mächtig un seltsom wussen. Ut den dicken Stamm sünd fief Twiegen, grot as Bööm, no boben hochwussen.- As een Hand reckt sick de Linn´ tohöcht. Dat gewaltig Wurtelwark höllt ehr, givt ehr Kraft, över veele Minschengeneratschoons weg. Wiet un siet heet de Boom: „De Fieffinger-Linn!“
Um düsse Linn rankt sick een Geschicht, een Vertell´n, wat grulig is.
In dat Dörp Odderod geev dat mol een smucke Deern. Se heel de Mannslüüd wull een beten to´n Narr´n. – Ehr Mudder weer storven. Vun ehr´n Vadder weer se vertrocken worrn, he leet veel glieden bi sien Dochter. Oftmols gung se to Danz, keem over ümmer to rechten Tied no Huus, kloppt bi Vadder an de Döör, dormit he sick nie sorgen dee. Op een Sünndag weer´t! Se keem nie! – De Komer weer leer, dat Bedd noch opmokt!
Den Vadder sloog dat Hart swor in de Boss. He kreeg dat Bangen um sien Deern. He leet sien Sööns hol´n, Knechen dorto! In den Krog harr´n de Lüüd se noch danzen sehn, mol mit een un mol mit´n anner´n. Mehr weer nie ruttokriegen.
Un nu gung dat Söken los! – Dat Holt um Odderod ´rum is grot un dicht no Hollenborn to, no Rieswohld un no Alversdörp hin, ok hüüt noch. Vull Opregen stövern de Odderöer dör den Wald, repen ümmer weller lud no de Deern. – Swor weer´t hier een Minschen to finnen.
Denn seegen se ehr op´t gröne Moos liggen. – Doot! Mit Plackens an Hals, de vun´t Wörgen herröhr´n. – Seltsom! De Hannen harr se foold, Blomen dorin leggt. De Vadder kunn sick vör Truur un Wehdoog gorni hölpen. Ok de anner´n harr dat angrepen. Se stunnen dor un kunnen dat nie foten, dat de junge Deern ohne Leven dor in´t Moos süm to Föten leeg.
Dat fögt sick, dat een Mann op den Padd dör´t Holt lang keem. Sien Tüüch weer tweireten, weer´n Plünnen. He seeg no een Rumdriever ut, weer over een „Beddelstudent“, as man loter weten dee. Geev je veel arme Lüüd dotomol´n, de op de Landstroot leegen un sick vun´t Beddeln nähr´n.
Nu, düsse arme Düvel worr´t forts wies, wat sick dor affspeel un he wull weglopen. Dat Mannsvolk weer achter em to jogen un se harr´n em tofoten. Se slepen em no den vertwievelten Vadder, de in de Kneen blangen sien Dochder leeg un klogt un ween. Vun Wieden worr em all toropen, dat se den Mordboov fungen harrn. – Dat Blood leep den jungen Mann över´t Gesicht, he seeg ok sunst slimm ut mit Filz in Hoor un Bort, de Hannen swatt. He worr no de dode Deern dreven un se sproken, dat he de Mörder weer, de ehr wörgt harr. He streed all´ns aff, dat nützt em nix. Zurück
Een ut dat Köppel hett denn seggt, dat he bi Gott un de Hilligen swöörn schull! So kunnen se em nie glöven. – In all sien Bangen un Noot börr he de linke Hand hoch to´n Swuur. – De linke Hand! – Vör em weer´t dat Gottesurdeel! So sä´n se.
Een vun de Knechen harr een Sträng bi sick un ohn lang to taltern worr he an een Boom opbummelt. As se em de Sling vun den Sträng um den Hals leen, reep de Student in sien Angst: „Düsse Hand hett wohr swört un jüm warrt dat nie vergeten.“
He worr gliek in´t Holt inschort.
De erste Roosch vun de Lüüd harr sick leggt. De trurige Tog mit de Liek vun de Deern gung no´t Dörp torüch. Dor is nix so fien spunn´, dat kumt doch all an de Sünn!
Een halv Johrhunnert vergung wull. De Nover vun de unglückliche Deern weer old worrn, he föhl, dat gung mit em to Enn. He wull den Paster an sien Bedd hebb´n, wull noch wat los warrn, wat em drücken dee. De Prester kunn so gau nie komen, un so vertell de ole Buur de Fru vun sien Söön, dat he een swore Schuld mit sick dör´t Leven sleep harr.
In junge Johr´n weer he vull Leev för een smucke Deern ween. Se harr em um sien kloren Kopp brocht, harr em mit to Holt nohmen, em Hoffnungen mokt, denn wat utlacht un em torüch stött. He weer vun Sinnen un Verstand ween, harr de Hannen um ehr´n weken Hals leggt un nie los loten, bet keen Leven mehr in ehr seet. Leed harr em dat forts doon. De Hannen harr he ehr foold un Waldblomen dorin leggt.
Op de Steed, wo de unschüllige Minsch hinricht weer, wuß´ mit de Johr´n een Linn´boom ut de Eer, de sick noch vundog mit sien fief Twiegen as to´n Swuur no´n Heven reckt. He wüll seggen, dat de Minschen süm Urdeel överdenken schüllt, bevör se hannelt un Schuld nie to doppelte Schuld warrt.
Dat Holt, wonehm de Linn´steiht, hört de Odderöer to. Wenn in´t Dörp flaggt warrt, denn is de Fieffinger-Linn op süm Fohn to sehn. De Boom warrt ok vundog noch vun männig Wannerslüüd to Foot un mit Fohrrad besöcht. – Dat Natur-Wohrteken in Rieswohld!
Vertellt op Plattdütsch vun Anne-Marga Sprick, Bargenstedt Zurück
Die Sage von der Fünffingerlinde
Mitten im Riesewohld steht eine Linde, die als Fünffingerbaum gewachsen ist und in keinem Teil von der Form einer menschlichen Hand abweicht. Die Sage berichtet von der Schwurhand eines unschuldig Gerichteten.
Im Dorfe Odderade wuchs vor Zeiten ein Mädchen auf, das ungewöhnlich hübsch, aber genau so hochnäsig und spöttisch war. Sie mochte es wohl, wenn man ihr schöne Augen machte, aber es wurde nie etwas Ernstes daraus, weil keiner der Burschen ihr gut genug war. Eines Abends kam sie vom Tanze nicht nach Haus und der besorgte Vater ließ sie überall suchen. Zuletzt ging man auch in den Wald und fand sie tot unter einem Baum im Moos liegen, die Hände gefaltet, mit einem Blumenstrauß darin. Des Vaters Schmerz und der Anblick des toten Mädchens rührten die Männer, die dabei standen.
Während sie noch ratsuchend herumstanden, sahen sie einen Mann auf dem Waldpfad daherkommen. Es war ein wandernder Bettelstudent in abgerissener Kleidung, der einen gehörigen Schrecken bekam, als er die Männer, die er für Wegelagerer hielt, so plötzlich vor sich sah. Er drehte sich auf dem Absatz um und floh den Weg zurück, den er gekommen war. Alle liefen ihm nach und hatten ihn bald gepackt und zu Boden gerissen, da sie glaubten, daß er der Mörder sei. Seine Flucht schien ihnen sicherer Beweis. Sie schleppten ihn zur Leiche des Mädchens und beschuldigten ihn der Tat. Seinen Unschuldsbeteuerungen schenkten sie keinen Glauben. Als jemand verlangte. er solle bei Gott und allen Heiligen schwören, daß er weder der Mörder sei, noch diesen kenne, hob er in seiner Angst und Verwirrung die linke Hand statt der rechten zum Schwur. Das wurde als Gottesurteil verstanden und bevor man ihn an einer Linde aufhängte, rief er noch: “ Diese Hand hat vor Gott die Wahrheit beschworen und zum Zeichen meiner Unschuld soll eine Hand aus meinem Grabe wachsen.“
Jahre später fühlte ein Nachbar des toten Mädchens sein Ende kommen und wollte sein Gewissen erleichtern. Der Pastor war verhindert und so erzählte er seiner Schwiegertochter die Schuld, die er ein Leben lang mit sich herumgetragen hatte. Ein Mädchen hatte ihn, als er jung war, vom Tanzboden in den Wald gelockt, ihn vor Liebe und Begehren toll gemacht und dann spöttisch zurückgestoßen. Da hatte er sie wie von Sinnen und ohne eigenes Wollen am Halse gepackt, bis sie leblos dalag. Er gab ihr Blumen in die Hand, ging wieder zum Tanzsaal und tat, als ob nichts geschehen sei.
Dort aber, wo man den unschuldigen Scholaren vergraben hatte, wuchs mit den Jahren eine fünffingrige Linde aus dem Boden, die sich noch heute wie eine zum Schwur erhobene linke Hand in den Himmel reckt.
nach Waldemar Krause, Alte Geschichten aus Dithmarschen (gekürzt und überarbeitet) Zurück
De Saag vun den Harkesteen bi Röst
Een groten Findling liggt bie Hollenborn in’t Holt, een riesigen Steen op een romantische Steed in Harkegrund, vull vun inhaute Löcker. Dat is de Harkesteen oder Hertasteen. Ganz seker is dor in heidnische Tieden een Kultplatz ween. In vörchristliche Tied hebbt de Minschen an so´n Steden ehr Gödder anbed, villicht ok Opfer brocht, Planten-, Tier-, ok Minschenopfer? Wer weet dat? Ümmer hebbt de Lüüd all doröver nodacht, wat wull op so’n Ort sick affspeelt hett, un Geschichten rankt sick ok um düssen Steen.
Dor weer een Knecht, de deen bi een Buurn in Tensbüttel, un he höd de Köh in’t Noor´n vun’t Dörp. He worr wies, dat em een Koh affhand’n komen weer, een witte Koh, un he fung an to söken.
Dor seeg he wat Helles in Harkegrund. Dat weer all schummerig, un he gung dorop to un seeg, dat weer een smucke Deern in een hell Kleed. Se frogt em, ob he ehr lieden much. Dat much he jo bannig gern. Se vertell em, dat he ehr erlösen kunn, denn se weer een verwunschen Prinzessin. He schull man wellerkomen, un denn kunn‘ se beid in ehr Slott leven, deep ünner de Eer. He schull over keeneen wat dorvun segg’n, anners weer de Zauber weg. Dorno weer se verswunnen.
De Knecht weer ganz dör’nanner. De Koh funn he. Obends kunn he nie to Ruh komen; he gung gliek in sien Komer to Bett, funn over keen Sloop. Sien Bettkamerod full dat op un frogt ümmer weller no, wat he harr. He wull jo nix noseggen, over den annern Obend vertell he dat doch. He snackt vun de verwunschen Prinzessin un dat Slott, un wat he ehr erlösen kunn. Sien Kamerod muß em verspreken, dat he alln’s bi sick beheel. He versprook dat, un beide sleepen to.
An annern Dag gung de Knecht no dat Holt, no de Steed, wonehm de feine Deern ween wull. –
De Knecht worr nie weller sehn. He worr söcht vun sien Kamerod; ok de Buur un Dörpslüüd gungen mit los, funnen an de Steed blot de Schoh vun em vör een groten Riesensteen.
Sietdem vertellt de Lüüd sick, dat he vun de Göddin Harke todeckt worr mit düssen Steen, woans he sien Swiegen broken harr.
De Steen worr nie anröhrt, denn man glööv, wer sick an den Steen vergreep, de schull vun een Blitz dropen warrn. –
As denn vör hunnert Johr de Schotterstroot no Alversdörp but worr, dor brukt man barg Steen, un ok düssen Findling schull dorto uteenanner haut warrn.
Johann Hebbel ut Süderhastedt wull dat moken. He wuss dorvun, dat he sick een Gefohr utsett. He lacht, drunk noch in Tensbüttel poor Grog in’n Krog, nehm sien Sack mit Homer un Betel un sä: „Nu hau ick den ol´n Steen in Dutten“.
Dat weer een ganz hitten Sommerdag, un nie lang duur dat, dor rummel dat in’ne Fern. Johann Hebbel weer bi de Arbeit un kümmer sick nie dorum. Dat Gewidder keem neeger, de Blitze ümmer greller, un no een gewaltigen Dunnerslag verloor Johann Hebbel de Nerven. He smeet Homer un Betel in sien Sack un mokt, dat he wegkeem.
Loter weer he dör nix to bewegen, düssen Steen weller antoröhr´n. – So liggt nu noch ümmer düssen groten Findling op den Harkegrund, vull vun Betellöcker, over sunst heel un ganz.
1959 von Hans Beeck; in’s Plattdeutsche übertragen 2002 von Anne-Marga Sprick, Bargenstedt Zurück
Die Sage vom Harkestein erzählt von einer Zeit, als die Ländereien der Bauern von Röst noch nicht eingezäunt waren und das Vieh des ganzen Dorfes noch Tag für Tag auf der ganzen Feldmark geweidet wurde. Eines Tages trieb der Hirte die ihm anvertrauten Tiere in den Röster Wald. Als es jedoch Abend wurde, fehlte eine weiße Kuh. Trotz aller Suche mußte der Hirte ohne das Tier in das Dorf zurückkehren. Der Besitzer des Rindes war jedoch zornig und verlangte von ihm, daß er weitersuche. Also mußte er erneut in den Wald.
Bei fahlem Mondlicht drang er immer tiefer in das Gehölz und gelangte schließlich in den Harkegrund. Plötzlich schien die Lichtung taghell erleuchtet und eine schöne Frauengestalt gab sich dem vor Schreck erstarrten Hirten als Göttin Harke zu erkennen. Der junge Mann fand schließlich seine Sprache wieder und erklärte, warum er in den Wald eingedrungen war und daß er es nicht bereue. Noch nie hätte er ein so schönes Wesen gesehen. Auch Harke fand Gefallen an dem Irdischen, erklärte ihm aber, daß er sterben müsse, wenn er ihr Geliebter werden wolle. Der Hirte war so überwältigt, daß er für den Tod bereit war. Es quälte ihn nur der Gedanke, daß sein Körper unbestattet liegen bleiben könnte. Auch wollte er noch Abschied nehmen von seinem Kameraden, mit dem er die Kammer geteilt hatte. Die Göttin versprach ihm, seinen Körper zu bestatten und ihm ein Denkmal zu setzen, daß keine Menschenhände mehr entfernen könnten.
Mit der weißen Kuh, die wieder aufgetaucht war, kehrte der glückselige Hirte wieder ins Dorf zurück. Seinem Kameraden erzählte er die Geschichte, der war jedoch schon so schläfrig, daß er kaum zuhörte. Am nächsten Morgen zog der Hirte sehr früh los, am Abend aber kehrten die Kühe allein ins Dorf zurück. Die Dorfbewohner standen vor einem Rätsel. Da dämmerte es dem Freund des Hirten und er erzählte dem Bauern die rätselhafte Geschichte. Schließlich machten sich alle auf in den Harkegrund. Dort entdeckten sie eine Blutlache, einen Hirtenstab und einen gewaltigen Stein, der die sterblichen Überreste des Hirten bedeckte. Niemand gelang es je, diesen Stein von der Stelle zu bewegen. So bewahrheitete sich das Versprechen der Göttin Harke. Zurück
Eine andere Version besagt, daß der Hirte versprechen mußte, über sein Erlebnis zu schweigen. Da er es dann doch nicht für sich behalten konnte und seinem Kameraden erzählte, mußte er sterben und sein Körper wurde von dem großen Stein bedeckt. Man fand nur noch seine Schuhe. Wer aber den Stein fortzuheben sich vermessen sollte, der würde unter gewaltigem Donner augenblicklich vom Blitz getroffen werden. So wurde er lange Zeit mit geheimer Scheu betrachtet.
Der Stein blieb unangetastet liegen, bis um die Jahrhundertwende für den Straßenbau sehr viele Steine benötigt und für diesen Zweck sehr viele Findlinge, sogar aus Steingräbern, zerkleinert wurden. So war es naheliegend, auch den Harkestein ins Auge zu fassen.
Hans Beek aus Speersdiek konnte sich noch an den alten Steinhauer Johann Hebbel aus Süderhastedt erinnern, der beauftragt wurde, diese Arbeit zu verrichten. Man hatte ihn aber gewarnt und erzählt, was es mit diesem Stein für eine Bewandtnis habe. Johann Hebbel lachte darüber und meinte, den Stein würde er schon entzwei kriegen. So ganz scheint die Warnung doch nicht ohne Wirkung geblieben zu sein. Er kehrte jedenfalls in Tensbüttel in der Gastwirtschaft ein und trank erst einmal einige Grogs, um dann mit gestärktem Mut die Arbeit zu beginnen: Nu hau ik den Steen twei! Am Harkestein packte er sein Geschirr aus, schaute in die Runde und vergewisserte sich, daß nach menschlichem Ermessen an diesem schönen Sommertag nichts dazwischen kommen könnte.
Mit Eifer ging er an die Arbeit und schlug Löcher in den Stein, in die die Keile getrieben werden sollten. Er hatte schon eine Zeit gearbeitet, als plötzlich in der Ferne ein dumpfes Grollen zu hören war, das sich rasch näherte. Blitz und Donner wurden stärker, aber er wollte nicht klein beigeben . Die Schande wollte er sich nicht antun, als Angsthase weggelaufen zu sein. Als aber ein greller Blitz dicht neben ihm einschlug und ein gewaltiger Donner folgte, war er mit seiner Nervenkraft am Ende. Er warf sein Werkzeug in den Sack und riß aus, so schnell ihn die Füße tragen konnten, bis er das erste Haus in Röst erreichte, immer wähnend, daß ihn der nächste Blitz für seine frevelnde Tat erschlagen würde. Keine Bitten vermochten ihn zu bewegen, nach Abzug des Gewitters noch einmal an den Harkestein zurückzukehren.